Seit Jahren kann ich als selbst Betroffener sowohl im Arbeitskreis für Menschen mit Behinderungen des SoVD als auch in meinem Ehrenamt als Vorsitzender des Beirates für Menschen mit Behinderungen in unserem Landkreis beobachten, dass sich Betroffene immer selbst einbringen und auf sich aufmerksam machen. Mit unseren Fähigkeiten, unserem Aussehen, unseren Interessen. Schön, wenn es zusammenpasst. Und schwierig, wenn es kracht. In unseren Familien, unter Freunden, im Beruf. Noch schwieriger wird es, wenn Menschen andere bewusst beleidigen oder ausschließen. Das tut sehr weh, wenn jemand wegen seiner Behinderung verlacht oder verspottet wird. Für Menschen, die im Rollstuhl sitzen, gibt es schon einen Stich ins Herz, wenn es irgendwo keine Rampe oder keinen Aufzug gibt. Dann müssen sie draußen bleiben. Das Konzert, die Buchlesung, der Kinofilm findet ohne sie statt. Oder, was ich selbst leider wiederholt erlebe: In Krankenhäusern müssen Betten ausgelagert werden, damit Platz für einen Rollstuhl bleibt. Sanitärzellen in Krankenzimmern können aus Barrieregründen nicht genutzt werden und Betroffene müssen dann auf die Stationsbehinderten-Toiletten und Waschräume zurückgreifen. Das Duschen ist nicht möglich. Ja. In den letzten Jahren hat sich einiges getan. Es gibt zum Beispiel viel mehr markierte Wege für Menschen, die nicht sehen können. Es gibt mehr behindertengerechte Zugänge. Kinder mit und ohne Beeinträchtigungen lernen zusammen. Das ist wirklich gut so. Da haben wir viel dazugelernt. Aber unsere Gesellschaft ist wirklich noch weit weg davon, dass „alle Menschen gleichberechtigt in vielfältigen Rollen das Leben mitgestalten“. Vielleicht denken jetzt manche: „Das ist ja auch ein falsches Idealbild. Da kommen wir nie hin. Es wird immer Unterschiede geben. Manche Menschen sind schwächer, manche stärker. Manche können mehr, manche können weniger. Muten wir uns mit der Inklusion nicht zu viel zu? Wir stoßen doch auch immer wieder an Grenzen.“ Ja, wir kommen manchmal an Grenzen. Aber es ist ein Unterschied, ob wir Grenzen nur zur Kenntnis nehmen oder uns immer wieder neu artikulieren. Davon haben wir uns bei der Erarbeitung des 2. Aktionsplanes zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention leiten lassen, der nun vom Kreistag unseres Landkreises einstimmig als Beschluss und Arbeitsgrundlage am 6. September 2019 angenommen wurde.
Joachim Heinrich
Vorsitzender des Sozialpolitischen Ausschusses
Landesverband Mitteldeutschland