Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das der Bundestag jüngst beschlossen hat, setzt EU-Vorgaben um. Es bleibt hinter SoVD-Erwartungen zurück.
Welche Produkte und Dienstleistungen sind erfasst?
Das neue Gesetz erfasst digitale Produkte wie Computer,Tablets, Notebooks, Handys, Router, Fernseher, E-Book-Lesegeräte, Fire TV Sticks, aber auch Geld-, Fahrkarten- und Check-in-Automaten.
Außerdem sind digitale Dienstleistungen umfasst, also Online-Handel, E-Book-Software, Internet-Telefondienste, Internetzugangsdienste, E-Mail-Übertragungsdienste, Bankdienstleistungen, Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr sowie Personenbeförderungsdienste mit ihren Websites, elektronischen Tickets, Ticketdiensten und Selbstbedienungs-Terminals.
Welche Bereiche klammert das Gesetz aus?
Die EU-Vorgaben für audiovisuelle Dienste setzt nicht das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), sondern der Medienstaatsvertrag um. Und die Barrierefreiheit in Bezug auf Notrufe soll das Telekommunikationsgesetz regeln.
Wer wird verpflichtet?
Das neue Gesetz richtet sich an Wirtschaftsakteure. Konkret angesprochen sind etwa Produkthersteller, Händler und Dienstleistungserbringer.
Wie läuft der Prüfprozess ab?
Unternehmen müssen selbst absichern, dass ihre Produkte oder Dienstleistungen barrierefrei sind. Konkrete Standards dafür soll eine Verordnung festlegen. Die Betriebe müssen prüfen, ob ihr Produkt oder ihre Leistung die rechtlichen Vorgaben einhält, und das auch dokumentieren. Dann darf eine EU-Konformitätserklärung ausgestellt und das CE-Kennzeichen angebracht werden.
Für Nachprüfungen müssen die Unternehmen die nötigen Informationen vorhalten, natürlich barrierefrei.
Gibt es Ausnahmen von den Barrierefrei-Pflichten?
Ja. Das Gesetz klammert Kleinstunternehmen aus, die Dienstleistungen erbringen: Sie können Barrierefreiheit umsetzen, müssen es aber nicht.Zudem gelten für kleine und mittlere Betriebe teils weniger strikte Regeln.
Die Barrierefrei-Pflichten greifen auch dann nicht, wenn sie einen Wirtschaftsakteur unverhältnismäßig belasten würden.
Ab wann gelten die Pflichten?
Die neuen Regeln gelten ab 2025. Danach gibt es nochmals fünf Jahre als Übergangsfrist für Dienstleistungen. Für Selbstbedienungs-Terminals, also etwa Geldautomaten, reichen die Übergangsregelungen sogar bis 2040.
Wer kontrolliert die Vorgaben?
Die Länder sind für die Marktüberwachung zuständig. Sie überprüfen, ob Wirtschaftsakteure die Vorgaben einhalten. Dafür können sie Informationen anfordern, Fristen setzen, bis wann Abhilfe zu leisten ist, und sogar Aktionen wie Produktrückrufe veranlassen. Die Länder sind auch gehalten, eine Marktüberwachungsstrategie zu entwickeln und danach zu handeln.
Das Bundesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin soll zwischen den Ländern koordinieren und eine Brücke zur EU sein.
Welche Hilfen gibt es für die Unternehmen?
Die Bundesfachstelle Barrierefreiheit bietet Kleinstunternehmen fachliche Hilfe an, damit sie Barrierefreiheit so weit wie möglich umsetzen können.
Was können Einzelpersonen und Verbände tun?
Verbraucher*innen können Überprüfungen der Marktüberwachungsbehörden anstoßen. Verbände können sie dabei unterstützen oder auch selbst aktiv werden. Gegen behördliche Entscheidungen sind Rechtsbehelfe möglich; Interessenvertreter wie der SoVD können Verbandsklage vor Gericht erheben. Zudem ist ein außergerichtliches Schlichtungsverfahren möglich.
Was meint der SoVD?
Das BFSG schreibt endlich Barrierefreiheit für private Unternehmen vor. Doch es geht nicht weit genug und hat Lücken.
Das Gesetz erfasst nur digitale Produkte und Dienstleistungen. Geschäfte, Arztpraxen, Bildungs- und Sportangebote etwa bleiben weiter außen vor.
Die Übergangsfristen sind zu lang: Corona beschleunigt den digitalen Wandel enorm. Da reicht es nicht, bei der Barrierefreiheit 2025 oder gar erst 2040 nachzuziehen.
Die Marktüberwachung „zerfällt“ auf 16 Länder. Das wird großen Betrieben wie Amazon oder der Deutschen Bahn nicht gerecht. Besser wäre es, wenn etwa auch das Eisenbahnbundesamt bundesweit mit überwachen könnte.
Spielräume des EU-Rechts, etwa zur baulichen Umwelt, bleiben ungenutzt. Das führt zum absurden Ergebnis, dass zum Beispiel der Geldautomat künftig barrierefrei sein muss, die Stufen davor aber bleiben dürfen.
Positiv ist, dass Verbände wie der SoVD auf die Durchsetzung des BFSG drängen können, etwa per Schlichtungsverfahren oder Verbandsklage.