Direkt zu den Inhalten springen

Stellungnahme Anhörung Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG)

SoVD-Stellungnahme anlässlich der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages am 13. November 2024 zu den Vorlagen: Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz - GVSG), BT-Drucksachen 20/11853, 20/12664, Antrag der Fraktion CDU/CSU Versorgung von Menschen in psychischen Krisen und mit psychischen Erkrankungen stärken, BT-Drucksache 20/8860, Antrag der Fraktion CDU/CSU Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum stärken, BT-Drucksache 20/11955

1 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung

a Zusammenfassung des Gesetzentwurfs

Mit dem Ziel einer noch besseren, auf die Bedürfnisse der Patient*innen ausgerichteten Gesundheitsversorgung führt der Gesetzentwurf ein Bündel an Maßnahmen zu unterschiedlichsten Regelungsbereichen auf, darunter:

  • ein künftiges Vetorecht der Patientenvertretung im Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA),
  • eine Beschleunigung des Bewilligungsverfahren im Hilfsmittelbereich bei Anträgen von Kindern oder Erwachsenen mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen,
  • eine erleichterte Gründung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) durch Kommunen,
  • ein Maßnahmenpaket zur ambulanten Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen, insbesondere eine separate Bedarfsplanung von Kinder- und Jugendpsychotherapeuten sowie eine Vereinfachung und Flexibilisierung beim Antrag auf Kurzzeittherapie und beim Konsiliarbericht,
  • eine Veröffentlichung der Leistungs- und Servicequalität von gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegekassen,
  • Beitragsfreiheiten bei Waisenrenten oder entsprechende Hinterbliebenenversorgungsleistungen während der Ableistung eines Freiwilligendienstes sowie
  • verschiedene Maßnahmen zur Anpassung der Vergütung der Hausärzt*innen, darunter die Entbudgetierung der hausärztlichen Versorgung sowie die Einführung einer jährlichen Versorgungspauschale zur Behandlung chronisch kranker Patient*innen und eine Vorhaltepauschale für die Wahrnehmung des hausärztlichen Versorgungsauftrages.

b Gesamtbewertung des Gesetzentwurfs

Als Interessensverband für die Wahrnehmung der Interessen seiner Mitglieder, der Patient*innen und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen bemisst der SoVD die Maßnahmen des Gesetzentwurfs an dem Grad der Verbesserung für die ambulante Versorgung. Vor diesem Hintergrund fällt die Bewertung durchwachsen aus.

Den wesentlichen Schwerpunkt des Gesetzes bilden nunmehr vornehmlich die Regelungen zur Honoraranpassung der ambulanten hausärztlichen Versorgung. Angesichts der demografischen Entwicklung ist es grundlegend richtig, Aufgaben der hausärztlichen Grundversorgung zu fördern. Praxen, die ebenjene arbeits- und zeitintensive – aber gerade für immobile, multimorbide und ältere Patient*innen essenzielle – hausärztliche Leistungen der Grundversorgung wie Haus- und Pflegeheimbesuchen tätigen, müssen bessergestellt werden, als Praxen, die sich nicht daran beteiligen. Dabei können die vorgesehenen festzulegenden Kriterien zur Abrechenbarkeit der Pauschale, wie etwa Mindestpatient*innenzahlen, die aufsuchende Behandlung von Versicherten über 75 Jahren oder bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten in den Abendstunden oder an Samstagen, helfen.

Eine Gefahr von Versorgungsnachteilen infolge finanzieller Fehlanreize befürchtet der SoVD weiterhin durch die geplanten jährlichen Versorgungspauschalen für chronisch Kranke in seiner jetzigen Ausgestaltung und warnt vor einer drohenden Verschlechterung der hausärztlichen Versorgung gerade für besonders betreuungsintensive Patient*innen. Zudem muss sichergestellt werden, dass Versorgungs- und Vorhaltepauschalen aufeinander abgestimmt werden und zueinander in ein angemessenes Verhältnis stehen, um unangemessene Abrechnungsoptimierungen und finanzielle Fehlanreize zu vermeiden. Nach einer gesetzgeberischen Korrektur der Regelung gilt jedenfalls die Versorgungspauschale nicht mehr für die Versorgung durch Kinder- und Jugendärzt*innen.

Eine Entbudgetierung der hausärztlichen Versorgung sieht der SoVD ambivalent: Ein positiver Effekt aus Patient*innensicht ist der Wegfall des Hauptgrunds für die spürbare Quartalslogik in der ambulanten hausärztlichen Versorgung (Neupatient*innenbegrenzung, weniger Behandlungstermine und Verordnungen am Quartalsende oder Wiedereinbestellung von Patient*innen zum Quartalsanfang infolge Budgetausreizung). Ärztliche Leistungen sollten zudem angemessen vergütet werden. Gleichzeitig sind mit dem Wegfall des einzigen Instruments zur wirksamen Mengenbegrenzung im vertragsärztlichen Versorgungsbereich erhebliche Ausgabenanstiege und ökonomisch veranlasste Fehlversorgungen zu befürchten. Angesichts der angespannten Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung sind in der Folge steigenden Zusatzbeiträge zu befürchten, die vor allem kleine und mittlere Einkommen belasten.

Notwendig sind endlich grundlegende und zukunftsgerichtete Reformen für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Keinesfalls darf der Wegfall des einzigen Instruments zur wirksamen Mengenbegrenzung im vertragsärztlichen Versorgungsbereich eine Verantwortungsverlagerung auf die Patient*innen für eine wirtschaftliche Leistungserbringung und -inanspruchnahme bei der ambulanten Versorgung zur Folge haben, wie etwa Kostenbeteiligungen durch die Patient*innen. Beispielhaft sei an die Einführung der Praxisgebühr erinnert, die erwiesenermaßen eine leistungssteuernde Wirkung klar verfehlt hat. Mit der allgemeinen Entbudgetierung wird auch kaum eine Verbesserung der Versorgung in bereits unterversorgten Regionen erreicht. Dort sind vielmehr gezielte (auch finanzielle) Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität der hausärztlichen Versorgung und eine zielgenauere Bedarfsplanung notwendig.

Vor diesem Hintergrund ist eine zeitnahe Evaluation sowohl der Abrechnungsströme wie auch der Versorgungsleistung essenziell. Notwendig sind ergänzende Maßnahmen zur Vorbeugung von Abrechnungsoptimierung und -ungenauigkeiten.

Ausdrücklich positiv bewertet der SoVD die geplante Verbesserung in der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen durch die Einführung einer eigenen bedarfsplanungsrechtlichen Arztgruppe. Daneben sollte die psychotherapeutische Versorgung durch weitere Kassensitze für Psychotherapeut*innen insgesamt verbessert werden, um den bestehenden und weiter zunehmenden Versorgungsbedarf gerecht zu werden. Ebenso positiv sieht der SoVD die vom Gesetzgeber initiierten Stärkung eines praxisnahen Zugangs zur Kurzzeittherapie im Rahmen der psychotherapeutischen Versorgung durch einen gezielten Abbau von bürokratischem Mehraufwand.

Des Weiteren begrüßt der SoVD die Verfahrensvereinfachung im Hilfsmittelbereich für Menschen mit Behinderungen und die Beitragsfreiheit von Waisenrenten während der Ableistung von Freiwilligendiensten. Auch die Transparenz über die Leistungs- und Servicequalität der Kranken- und Pflegekassen wird befürwortet. Der SoVD erhofft sich davon eine spürbare Stärkung des Qualitätswettbewerbs der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegekassen untereinander.

Hingegen lehnt der SoVD ein Vetorecht für die Patientenvertretung im G-BA ab. Eine Stärkung erfährt die Patientenvertretung nicht durch ein destruktives Vetorecht, dass sich letztlich in einem reinen Symbolcharakter erschöpft. Stattdessen sind konstruktive Ergänzungen der Mitgestaltungsrechte und die weitere Stärkung der Patientenund Pflegebetroffenenbeteiligung in personeller, finanzieller und struktureller Hinsicht notwendig, um ihren gesetzlichen Auftrag zur Mitgestaltung durch Mitberatung im Gesundheitswesen auch künftig sachgerecht wahrnehmen zu können.

c Zu einzelnen Regelungen des Gesetzentwurfs

Zu Artikel 1 Nr. 2: Wichtige Verfahrensvereinfachung im Hilfsmittelbereich für Menschen mit Behinderungen

Zu Artikel 1 Nr. 2 (§ 33 Abs. 5c NEU)

Zur Beschleunigung von Bewilligungsverfahren im Hilfsmittelbereich bei Anträgen von Kindern oder Erwachsenen mit geistiger Behinderung oder schwerer Mehrfachbehinderung wird das Prüfprogramm der Krankenkassen für solche Hilfsmittelversorgungen eingeschränkt, die von Versicherten beantragt werden, die in regelmäßiger Behandlung in einem sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) oder einem medizinischen Behandlungszentrum für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schwerer Mehrfachbehinderung (MZEB) sind, sofern der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin des SPZ oder des MZEB die beantragte Versorgung empfiehlt. Die Krankenkassen haben in diesen Fällen von der medizinischen Erforderlichkeit der beantragten Versorgung auszugehen.

SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt die Verfahrensvereinfachung ausdrücklich. Zurecht geht der Gesetzentwurf davon aus, dass eine regelhafte gesonderte Prüfung der medizinischen Erforderlichkeit der beantragten Hilfsmittelversorgung durch die Krankenkassen und eine Beauftragung des Medizinischen Dienstes zur sozialmedizinischen Begutachtung in diesen Fällen angesichts der intensiv interdisziplinären Betreuung in den genannten Einrichtungen und der besonderen Eilbedürftigkeit bei der Versorgung und der notwendigen Gewährleistung gesellschaftlicher Teilhabe der betroffenen Versicherten unterbleiben kann. Dies gilt erst recht bei sich noch im Wachstum befindlichen Kindern oder jungen Erwachsenen, bei denen eine gleichmäßige hilfsmittelgestützte Förderung der kognitiven und motorischen Entwicklung sowie eine frühzeitige und kontinuierliche Mobilisation den Grad der Schwere der Behinderung und den damit einhergehenden Beeinträchtigungen im täglichen Leben positiv beeinflussen kann.

Zu Artikel 1 Nr. 6 a: Gefahr von Versorgungsnachteilen durch jährliche Versorgungspauschale für chronisch Kranke

Zu Artikel 1 Nr. 6a (§ 87 Ab. 2b Sätze 7 ff. –NEU)

Bei der Versorgung chronisch kranker Patient*innen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, soll künftig eine jahresbezogene Versorgungspauschale ab dem ersten Kontakt mit der Hausarztpraxis einmal jährlich abgerechnet werden können. Dies ersetzt die bisherige Versichertenpauschale, die die Hausarztpraxen derzeit in jedem Quartal abrechnen, in dem mindestens ein Versichertenkontakt stattfindet. Ziel ist eine Entlastung der Praxen von Bürokratie und von – aus medizinischer Sicht – nicht erforderlich wiederholt quartalsweiser Praxiskontakten der Versicherten, zum Beispiel zur Ausstellung von Folgerezepten.

SoVD-Bewertung: Mag die zugrundeliegende Zielsetzung einer effizienten Nutzung von vorhandenen Versorgungskapazitäten gerade in der hausärztlichen Versorgung grundsätzlich nachvollziehbar sein (Reduzierung von Anreizen zur Überbehandlung), besteht weiterhin mit der Ausgestaltung der geplanten jährlichen Versorgungspauschale der Grund zur Sorge, dass es zu einer erheblichen Verschlechterung der medizinischen Versorgung gerade für die besonders vulnerable Betroffenengruppe der behandlungsintensiven chronisch erkrankten Patient*innen kommen kann. Denn laut der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) käme es durch die neue Regelung zu finanziellen Fehlanreizen im Vergleich zur derzeitigen Vergütungssystematik. Für Hausärzt*innen, die sich auf Chroniker*innen mit wenig Praxiskontakt konzentrieren, böte die neue Vergütungssystematik deutliche vergütungsbezogene Anreize. Doch bereits ab drei Quartalen kehrt sich der Vergütungseffekt um. Gerade letztere träfe laut Berechnungen der KVen und des Zi auf zwei Drittel aller Chroniker*innen, zu die 2022 eine oder mehrere Hausarztpraxen aufsuchten. In der Konsequenz könnte es gerade für betreuungsintensive Patient*innen noch schwerer werden, eine behandelnde Praxis zu finden.

Soweit nunmehr der genannte Zeitraum vier aufeinanderfolgende Kalenderquartale umfassen „soll“, aber mindestens zwei zu umfassen hat, vermag dies die Sorge vor den beschriebenen Versorgungsnachteilen nicht zu beseitigen. Vor diesem Hintergrund sind weitere Anstrengungen zur Vermeidung etwaiger finanzieller Fehlanreize bei der jährlichen Versorgungspauschale zwingend erforderlich. Keinesfalls darf die Regelung eine Verschlechterung für die Versorgung von Patient*innen zur Folge haben. In diesem Zusammenhang sei an die sogenannte Mehrfachverordnung erinnert, etwa Folgerezepte bei einer Dauermedikation, die neben der Wegeentlastung der Patient*innen eben auch zur Entlastung der Praxen gerade von nicht erforderlich wiederholt quartalsweiser Praxiskontakten eingeführt wurde. Im Versorgungsalltag wird jedoch bislang nur unzureichend von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Das GVSG bietet die Gelegenheit, hier ebenfalls nachzujustieren.

Immerhin wurde die Regelung nunmehr auf Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, begrenzt, sodass die Versorgungspauschale jedenfalls für die Versorgung durch Kinder- und Jugendärzt*innen nicht gilt.

Zu Artikel 1 Nr. 6 c: Vorhaltepauschale als finanzieller Anreiz

Zu Artikel 1 Nr. 6c (§ 87 Abs. 2q – NEU)

Die Vergütung der zur Erfüllung von Aufgaben der hausärztlichen Grundversorgung notwendiger Strukturen soll künftig durch eine sogenannte Vorhaltepauschale erfolgen, deren Abrechenbarkeit an die Erfüllung vom Bewertungsausschuss noch festzulegender Kriterien geknüpft ist. Die Kriterien sollen laut Gesetz insbesondere eine bedarfsgerechte Versorgung mit Haus- und Pflegeheimbesuchen, bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten, die vorrangige Versorgung der Versicherten mit Leistungen aus dem hausärztlichen Fachgebiet, eine festzulegende Mindestanzahl an zu versorgenden Versicherten sowie die regelmäßige Nutzung von Anwendungen der Telematikinfrastruktur umfassen. Das Gesetz sieht eine Evaluation der Auswirkungen der Regelungen bis zum 31. Dezember 2028 vor.

SoVD-Bewertung: Angesichts der demografischen Entwicklung ist es aus Sicht des SoVD grundlegend richtig, Aufgaben der hausärztlichen Grundversorgung zu fördern. Sie sind ein Kernelement der hausärztlichen Versorgung. So sind beispielsweise gerade Haus- und Pflegeheimbesuche für immobile, multimorbide und ältere Patient*innen essenziell und notwendig. Berufstätige sind unter der Woche besonders auf Abendsprechstunden oder Öffnungszeiten an Samstagen angewiesen. Doch sind gerade Leistungen der hausärztlichen Grundversorgung zeit- und arbeitsintensiv. Hier müssen Praxen, die ebenjene hausärztlichen Leistungen der Grundversorgung tätigen, bessergestellt werden, als Praxen, die sich nicht daran beteiligen. Entsprechend müssen mit der Vorhaltepauschale Mechanismen zur Differenzierung sowie angemessene Abrechnungen einhergehen. Die vorgesehenen festzulegenden Kriterien zur Abrechenbarkeit der Pauschale, wie etwa Mindestpatient*innenzahlen, die aufsuchende Behandlung von Versicherten über 75 Jahren oder bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten in den Abendstunden oder an Samstagen, können dabei helfen. Inwieweit dieser finanzielle Anreiz in Form einer Vorhaltepauschale flächendeckend die Vorhaltung einer umfassenden häuslichen Grundversorgung sicherzustellen vermag, bleibt angesichts bereits heute ausgelasteter Praxen fraglich. Entsprechend ist eine Evaluation sinnvoll, die allerdings in einem kürzeren Zeitraum erfolgen sollte, als vorgesehen.

Zu Artikel 1 Nr. 9: Zurückhaltung bei der Entbudgetierung

Artikel 1 Nr. 9 (zu § 87a Abs. 3c – NEU)

Die Leistungen der allgemeinen hausärztlichen Versorgung werden von mengenbegrenzenden oder honorarmindernden Maßnahmen ausgenommen (Entbudgetierung), – analog zur bereits erfolgten Entbudgetierung in der Kinder- und Jugendmedizin. Dies führt laut Gesetzentwurf zu jährlichen Mehrausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe eines unteren dreistelligen Millionenbetrages. Damit soll auch eine Vereinbarung in dem aktuellen Koalitionsvertrag entsprochen werden.

SoVD-Bewertung: Ziel des Gesetzentwurfes ist eine bessere Versorgung der Patient*innen. Vor diesem Hintergrund sieht der SoVD eine Entbudgetierung der hausärztlichen Versorgung ambivalent: Ein positiver Effekt aus Patient*innensicht dürfte der damit verbundene Wegfall der spürbaren Quartalslogik in der ambulanten hausärztlichen Versorgung sein. SoVD-Mitglieder berichten immer wieder von manglenden Behandlungstermine und Verordnungen am Quartalsende oder einer Wiedereinbestellung erst zum Anfang des Folgequartals. Auch sehen sich Praxen gehalten Neupatient*innen abzulehnen, was insbesondere in Regionen mit einem Hausärztemangel ein erhebliches Problem darstellt. Ärztliche Leistungen sollten grundsätzlich und angemessen vergütet werden, wenn sie medizinisch notwendig erbracht wurden.

Der Gesetzentwurf prognostiziert mit der Entbudgetierung der Hausärzt*innen verbundene jährliche Mehrausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe eines unteren dreistelligen Millionenbetrages. Allerdings dürften mit dem Wegfall des einzigen Instruments zur wirksamen Mengenbegrenzung im vertragsärztlichen Versorgungsbereich erhebliche Ausgabenanstiege und die Zunahme von ökonomisch veranlassten Fehlversorgung in Form der Überversorgung zu befürchten sein. Schließlich ermöglicht die Entbudgetierung finanzielle Anreize zur Abrechnungsoptimierung. Dies darf keinesfalls in der Folge zu einer Verantwortungsverlagerung auf Patient*innen für eine wirtschaftliche Leistungserbringung bei der ambulanten Versorgung führen.

Schließlich wird mit der allgemeinen Entbudgetierung auch kaum eine Verbesserung der Versorgung in bereits unterversorgten Regionen erreicht werden. Auch der Bundesrechnungshof hat in seinem Bericht nach § 88 Absatz 2 BHO an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages über die extrabudgetäre Vergütung von vertragsärztlichen Leistungen Ende vergangenen Jahres davon abgeraten, die Budgetierung im hausärztlichen Versorgungsbereich vollständig aufzuheben. Angesichts der bundesweiten durchschnittlichen Auszahlungsquoten von 97 bis 99 Prozent brächte die Aufhebung der Budgetierung für die meisten Leistungserbringenden keinen maßgeblichen finanziellen Vorteil, insbesondere nicht in unterversorgten Regionen.

Vor diesem Hintergrund ist eine zeitnahe Evaluation sowohl der Abrechnungsströme wie auch der Versorgungsleistung essenziell. Notwendig sind ergänzende Maßnahmen zur Vorbeugung von Abrechnungsoptimierung und -ungenauigkeiten.

Zu Artikel 1 Nr. 10 f: Bürokratieabbau bei der Kurzzeittherapie

Artikel 1 Nr. 10 f (zu § 92 Abs. 6a Satz 6 NEU)

Der G-BA wird beauftragt, innerhalb von sechs Monaten das Verfahren zur Durchführung einer psychotherapeutischen Kurzzeittherapie weiter zu vereinfachen.

SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt die gesetzgeberische Initiative zur praxisnahen Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung durch einen gezielten Abbau von bürokratischem Mehraufwand. Nach den geltenden Vorgaben in der Richtlinie über die Durchführung der Psychotherapie (Psychotherapie-Richtlinie) des G-BA umfasst die Kurzzeittherapie in der Psychotherapie insgesamt bis zu

24 Therapieeinheiten, deren Beantragung bisher in zwei Schritten für jeweils ein Kontingent von zwölf Therapieeinheiten erfolgt. Eine Mehrzahl der Patient*innen in psychotherapeutischer Behandlung bedarf mehr als zwölf Therapieeinheiten und ist insoweit auf ein zweites Kurzzeittherapie-Kontingent angewiesen. Durch den Verzicht auf das zweistufige Verfahren und das Erfordernis eines zweiten Antrags, wird dieser zusätzliche bürokratische Aufwand, insbesondere für die Patient*innen, die Psychotherapeut*innen, die Ärzt*innen sowie die Krankenkassen künftig vermieden.

Zu Artikel 1 Nr. 12 b: Bessere psychotherapeutische Versorgung

Artikel 1 Nr. 12 b (zu § 101 Abs. 4a NEU)

Zur Verbesserung psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen bilden psychotherapeutisch tätige Ärzt*innen sowie Psychotherapeut*innen, die überwiegend oder ausschließlich Kinder und Jugendliche behandeln, zukünftig eine eigene bedarfsplanungsrechtliche Arztgruppe.

SoVD-Bewertung: Die Bildung der neuen gesonderten bedarfsplanungsrechtlichen Ärtz*innengruppe ist notwendig und wird ausdrücklich begrüßt. Dies ermöglicht zukünftig eine zielgenauere Steuerung der Niederlassungsmöglichkeiten, was den Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung für Kinder und Jugendliche flächendeckend entscheidend verbessern kann. Prävention und Therapie von psychischen Erkrankungen müssen kurzfristig ermöglicht werden. Kinder und Jugendliche in besonderen Lebenslagen wie Kinderarmut, sozialer Ausgrenzung oder beengter Wohnsituation haben seit jeher ein erhöhtes Risiko, psychische Erkrankungen zu entwickeln. Die Corona-Pandemie hat laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit zu einem zusätzlichen Anstieg psychischer Krankheiten geführt, besonders bei Kindern und Jugendlichen. Ein gravierendes Problem bei der psychotherapeutischen Versorgung sind die langen Wartezeiten auf Behandlungsplätze. Sie wirken sich besonders negativ auf psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche aus, da sie zu einer Verschlimmerung und Chronifizierung vorhandener Erkrankungen für den weiteren Lebens- und Bildungsweg der betroffenen jungen Menschen führen können. Dies wird durch die Versorgungsschieflage zwischen ländlichen und städtischen Bereichen bzw. in sozial benachteiligten Bezirken weiter verschärft.

Darüber hinaus muss die psychotherapeutische Versorgung insgesamt verbessert werden. Immer mehr Menschen brauchen aufgrund psychischer Probleme oder einer Beeinträchtigung des seelischen Wohlbefindens professionelle Hilfe und Therapie. Laut Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) warten Betroffene im Schnitt mehr als fünf Wochen auf ein sogenanntes psychotherapeutisches Erstgespräch. Im Anschluss warten rund 40 Prozent der Betroffenen drei bis neun Monate auf den Beginn einer Behandlung. Im Schnitt sind es bundesweit 19,9 Wochen, fast fünf Monate. In Nordrhein-Westfalen sind es im Schnitt sogar 23,1 Wochen oder fast sechs Monate. 2019 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in der Bedarfsplanungsrichtlinie zusätzlich 776 Sitze für Vertragspsychotherapeuten genehmigt. Ein vom G-BA zuvor beauftragtes Gutachten zur Weiterentwicklung der Bedarfsplanung zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung hatte jedoch bei der Abschätzung des Bedarfes an zusätzlichen Kapazitäten bei Psychotherapeut*innen einen Bedarf von rund 2.400 festgestellt. Notwendig ist die Absenkung der Verhältniszahlen für die Arztgruppe der Psychotherapeut*innen um mindestens 20 Prozent, wodurch die laut Gutachten fehlenden 1.600 zusätzlichen Kassensitze für Psychotherapeut*innen gezielt dort entstehen könnten, wo heute die Versorgung besonders schlecht ist.

Zu Artikel 1 Nr. 22 b: Stärkere Mitwirkungsrechte statt symbolisches Vetorecht

Artikel 1 Nr. 22b (zu § 140 f Abs. 2 S. 8 ff. NEU)

Der Gesetzentwurf sieht die Einführung eines temporären Vetorechts der Patientenvertretung im Beschlussgremium des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vor. Damit soll die Patientenvertretung einmalig eine Beschlussfassung verhindern und eine weitere Beratung der Thematik des Beschlusses erwirken. In einer der kommenden Sitzungen des G-BA kann dieser allerdings erneut beschlossen werden. Ein erneut ablehnendes Votum der Patientenvertretung führt dann nicht zu einer weiteren Hemmung, es sei denn, der Beschlussgegenstand wurde maßgeblich geändert (etwa eine inhaltliche Erweiterung oder Kürzung von Teilen des Beschlussgegenstandes).

SoVD-Bewertung: Der SoVD lehnt als einer der in der Patientenvertretung des G-BA mitwirkenden Patientenorganisationen die Einführung eines temporären Vetorechts der Patientenvertretung ausdrücklich ab. Artikel 1 Nr. 22 b) des Gesetzentwurfs ist zu streichen.

Als Stimme der über 70 Millionen gesetzlich Versicherten wirken Patientenvertreter*innen seit 20 Jahren engagiert an den Entscheidungsprozessen und Beschlussfassungen in dem höchsten Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung des deutschen Gesundheitswesens mit. Diese Mitwirkung hat sich bewährt und das deutsche Gesundheitswesen davon insgesamt profitiert. Vertreter*innen der Patienten*innen und Pflegebetroffenen bringen ihr Wissen um die Bedürfnisse und die Probleme aus dem Versorgungsalltag, aus der eigenen Betroffenheit, der organisierten Selbsthilfe und der Beratung in die Beratungsprozesse ein. Zugleich hat die Beteiligung zu deutlich mehr Transparenz und Patientenorientierung geführt. Mit den zunehmenden Aufgaben der Selbstverwaltung sind aber auch die Aufgaben und Anforderungen an die Patientenund Pflegebetroffenenvertretung über die Jahre mitgewachsen. Dabei entspricht es nicht dem Anliegen und dem Verständnis des SoVD von einer Patientenvertretung, notwendige Entscheidungsprozesse lediglich symbolisch zeitweise zu blockieren oder zu verzögern. Ein Vetorecht ist vor allem ein destruktives Instrument. Die Patientenvertretung möchte die Versorgung konstruktiv mitgestalten. Damit die Patientenvertretung ihren gesetzlichen Auftrag zur Mitgestaltung durch Mitberatung im Gesundheitswesen sachgerecht wahrnehmen kann, sind konstruktive Ergänzungen der Mitgestaltungsrechte und die weitere Stärkung der Patientenund Pflegebetroffenenbeteiligung in personeller, finanzieller und struktureller Hinsicht notwendig. Nur so ist die systemunterstützende Arbeit der Patientenbeteiligung aufrechtzuerhalten, um weiterhin auf Augenhöhe mit den Selbstverwaltungspartnern in den Entscheidungsverfahren zur Ausgestaltung des Gesundheitswesens mitwirken zu können.

Die maßgeblichen Patientenorganisationen haben sich in einem gemeinsamen Forderungspapier gegen ein Vetorecht ausgesprochen und stattdessen konkrete Maßnahmen und Forderungen zur Stärkung der Patientenbeteiligung und -vertretung im G-BA und weiteren Beteiligungsgremien nach § 140f SGB V zur Berücksichtigung im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz veröffentlicht 

Zu Artikel 1 Nr. 24: Transparenz über Leistung und Service der Kranken- und Pflegekassen überaus sinnvoll

Artikel 1 Nr. 24 (zu § 217f Abs. 4 NEU)

Für gesetzlich Kranken- und Pflegeversicherte soll ein übersichtliches und niedrigschwelliges digitales Informations- und Vergleichsangebot der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung geschaffen werden. Die Veröffentlichung nicht personenbezogener Kennzahlen und Informationen sollen mehr Transparenz über die Leistungs- und Servicequalität herstellen, etwa zu der Anzahl von Genehmigungen, Ablehnungen, Widersprüchen und Klagen im Leistungsgeschehen, differenziert nach versichertenrelevanten Leistungsbereichen, die versicherungsrelevante Bearbeitungsdauer, Angaben zu den Beratungs- und Unterstützungsangeboten der Kassen etwa bei Antragsprozessen, dem Beschwerdemanagement und der Förderung der Patientensicherheit sowie der Inanspruchnahme von Pflegeberatungen und Pflegekursen der Pflegekassen. Die Kennzahlen und Informationen sind vom GKV-Spitzenverband einheitlich und verbindlich in einer Richtlinie festzulegen und jährlich auf einer digitalen Plattform zu veröffentlichen.

SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt die transparente Veröffentlichung der Leistungs- und Servicequalität der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegekassen ausdrücklich. Dies ermöglicht gesetzlich Versicherten bei einem Wechsel der Kasse eine zusätzliche Orientierung und stärkt letztlich den qualitätsorientierten Wettbewerb unter den Kassen. Denn neben den grundlegend identischen Leistungen der gesetzlichen Kassen bestehen bei einigen Service- und Leistungsangeboten erhebliche Unterschiede.

Zu Artikel 1 Nr. 25: Waisenrentner*innen werden entlastet

Artikel 1 Nr. 25 (zu § 226 Abs. 6 NEU)

Waisenrenten oder entsprechende Hinterbliebenenversorgungsleistungen werden künftig auch während der Ableistung eines Freiwilligendienstes innerhalb der Altersgrenzen nach § 10 Absatz 2 Nummer 3 SGB V in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung beitragsfrei gestellt.

SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt die Beitragsfreiheit von Waisenrenten bei Freiwilligendiensten. Damit werden junge Menschen, die bereit sind, sich ehrenamtlich und freiwillig für die Gesellschaft zu engagieren, bei Bezug einer Waisenrente beitragsrechtlich entlastet und sinnvoll unterstützt.

2 Zu dem Antrag der Fraktion CDU/CSU „Versorgung von Menschen in psychischen Krisen und mit psychischen Erkrankungen stärken“

a Zusammenfassung des Antrags

Die Antragstellenden betonen die zentrale Bedeutung einer frühzeitigen Diagnostik und Versorgung psychisch erkrankter Menschen angesichts der hohen Zahl jährlich psychisch Erkrankter und der anhaltenden psychosomatischen Auswirkungen bei Kindern und Jugendlichen infolge der psychischen Belastungen während der Corona-Pandemie. Dies sei zugleich von hoher sozialökonomischer Relevanz. Lange Wartezeiten auf einen psychotherapeutischen Behandlungsplatz stehen einer kontinuierlich hohen Nachfrage nach Psychotherapie entgegen. Die bisherigen Reformen zur Bedarfsplanung haben nicht ausgereicht, um die Versorgungslage nachhaltig zu verbessern, so die Antragstellenden. Zugleich brauche es bessere Bedingungen für die Weiterbildung und mehr Medizinstudienplätze. Vor diesem Hintergrund fordern die Antragstellenden umfassende Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung von Menschen in psychischen Krisen und mit psychischen Erkrankungen.

b SoVD-Gesamtbewertung des Antrags

Der SoVD unterstützt die Zielrichtung des Antrags und begrüßt die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung grundsätzlich. Insbesondere die geforderte Weiterentwicklung der Bedarfsplanung in der Psychotherapie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), insbesondere durch bedarfsgerechte Anpassung der (regionalen) Verhältniszahlen für die Ärzt*innengruppe der Psychotherapeut*innen sowie eine eigene bedarfsplanungsrechtliche Ärzt*innengruppe für Leistungserbringende, die ausschließlich Kinder und Jugendliche psychotherapeutisch behandeln, unterstützt der SoVD ausdrücklich. Hierzu wird auf die bereits o.g. SoVD-Bewertungen zum Gesetzentwurf unter 1. c. zu Artikel 1 Nr. 10f und Nr. 12b verwiesen. Gleichzeitig ist die weitere Förderung und Stärkung von berufsgruppenübergreifenden, koordinierten und strukturierten Versorgungsangeboten richtig und notwendig, um dem besonderen Behandlungs- und Versorgungsbedarf für schwer psychisch kranke Versicherte mit komplexem psychiatrischen oder psychotherapeutischen angemessen entsprechen zu können.

Gemeinsame Anstrengungen von Bund, Ländern und Kommunen zum Auf- und Ausbau der psychischen Krisen- und Notfallversorgung sind essenziell. Einheitliche Standards sind grundsätzlich sinnvoll. Dabei ist von bereits etablierten und erfolgreichen Angeboten zu lernen. Eine einheitliche Notrufnummer für psychische Krisen kann die Bekanntheit und den Zugang zu den erforderlichen Angeboten verbessern. Ein niedrigschwelliger und flächendeckender Zugang zu Beratungs- und Hilfsangeboten ist insbesondere für betroffene Kinder und junge Menschen entscheidend. Stigmatisierungen und Vorurteile, die einer psychischen Erkrankung angelastet werden, sind für die Betroffenen und auch für ihre Angehörigen eine schwerwiegende zusätzliche Belastung. Sie erleben sich oftmals als ausgegrenzt und nehmen nicht gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teil. Betroffene begeben sich aus Scham oder Angst oder aus Furcht vor späteren Nachteilen z.B. im Schul- und Berufsleben oftmals gar nicht erst in Behandlung und das Risiko für eine Chronifizierung ihrer Erkrankung steigt. Umso wichtiger ist es, frühzeitig psychische Störungen und Auffälligkeiten zu erkennen und zu behandeln, gerade bei Kindern und jungen Menschen. Denn je früher eine Behandlung erfolgt, umso besser sind die Behandlungserfolge. Ein ungleicher Zugang zu ärztlicher Versorgung ist nicht hinnehmbar. Lange Wartezeiten und Anfahrtswege sind schädlich.

Einen zügigeren flächendeckenden Ausbau von Medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen (MZEB) nach § 119c SGB V begrüßen wir grundsätzlich, um damit eine bessere gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinderungen mit ihren besonderen Bedarfen sicherzustellen. Wir sprechen uns aber ausdrücklich dafür aus, dass eine inklusive Gesundheitsversorgung generell das Ziel sein muss. MZEBs sollen nur eine unterstützende Funktion einnehmen.

Angesichts des hohen Behandlungsbedarfs und bestehender Versorgungsprobleme müssen Angebote ambulanter und stationärer Weiterbildung sowie die Schaffung neuer Medizinstudienplätze mit einem stärkeren Fokus auf psychische Erkrankungen im Studienverlauf insgesamt mehr Unterstützung erfahren und insgesamt ausgebaut werden.

3 Zu dem Antrag der Fraktion CDU/CSU „Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum stärken“

a Zusammenfassung des Antrags

Die Antragstellenden betonen die großen Herausforderungen für die Sicherstellung einer adäquaten flächendeckenden Gesundheitsversorgung. Eine heterogene Bevölkerungsverteilung in Deutschland führe zu gegensätzlichen Verhältnissen zwischen städtischer und ländlicher Versorgung. Zugleich verschärfe der demografische Wandel das bestehende Problem der flächendeckenden Gesundheitsversorgung. Der ungünstigen Kombination von Strukturwandel, einer älter werdenden Gesamtbevölkerung bei sinkenden Fachkräftezahlen, wollen die Antragstellenden mit einer Reihe von konkreten Maßnahmen auch aus dem Bereich der Digitalisierung des Gesundheitssystems entgegentreten.

b SoVD-Gesamtbewertung des Antrags

Die Sicherstellung eines bedarfsgerechten und möglichst wohnortnahen Zugangs zu einer qualitativ guten Versorgung ist richtigerweise ein wesentliches Ziel im deutschen Gesundheitswesen. Untersuchungs- und Behandlungsabläufe werden im Gesundheitswesen immer komplexer. Verbindliche Qualitätsanforderungen müssen kontinuierlich auf dem neuesten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse fortentwickelt und im Versorgungsalltag umgesetzt werden. Um die Patientensicherheit zu gewährleisten, werden hohe Anforderungen an die Gesundheitsversorgung gestellt.

Bundesweit einheitliche Struktur- und Qualitätsanforderungen in der stationären Gesundheitsversorgung sind für ein deutschlandweit qualitativ gleichwertig hohes Versorgungsniveau unerlässlich. Qualitätsanforderungen müssen effektiv, transparent und frühzeitig kontrolliert werden. Anreize sind zu schaffen: Gute Versorgungsqualität sollte belohnt, schlechte wirkungsvoller sanktioniert werden. Fehlversorgung im deutschen Gesundheitswesen in Gestalt einer Überversorgung in Ballungszentren und eine Unterversorgung in strukturschwachen und ländlichen Regionen müssen mit gezielten Maßnahmen begegnet werden. Um Fehlversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung abzubauen, sind etwa bei einer festgestellten Überversorgung Arztsitze nach Aufgabe von den Kassenärztlichen Vereinigungen aufzukaufen. Der „Ausverkauf“ von Arztpraxen an Finanzinvestoren muss beendet werden. Der SoVD wendet sich entschieden gegen die fortschreitende Kommerzialisierung des Gesundheitswesens. Notwendig sind Regulierungen, damit die begrenzten Mittel zum Wohle der Menschen mit Bedarfen und nicht zur Renditegewinnung insbesondere privater Unternehmen eingesetzt werden. Zur Bewertung der Entbudgetierung wird auf die bereits o.g. SoVD-Bewertung zum Gesetzentwurf unter 1. c. zu Artikel 1 Nr. 9 verwiesen.

Erforderlich ist eine kleinräumige, bedarfsorientierte Planung für eine barrierefreie Versorgung, die insbesondere die Belange von behinderten und älteren Menschen sowie von Frauen und Familien mit Kindern berücksichtigt. Starre Grenzen zwischen der vertragsärztlich niedergelassenen und der stationären Versorgung sind nicht mehr zeitgemäß. Notwendig ist eine sektorenübergreifende, integrierte und eng vernetzte Gesundheitsversorgung in Deutschland. Einrichtungen der Gesundheitsversorgung sind wichtige Bestandteile der Daseinsvorsorge. Insbesondere Krankenhäuser zählen aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung für die Bevölkerung zu der zentralen kritischen Infrastruktur. Sie müssen funktionell wie finanziell abgesichert sein. Dabei gilt es, Kostendruck durch gezielte Maßnahmen zu vermeiden, etwa durch eine angemessene Vorhaltefinanzierung. Für eine zukunftsfähige stationäre Versorgung sind Reformschritte notwendig und finanzielle Investitionen zu tätigen.

Die Vorteile der Digitalisierung sind im Bereich Gesundheit und Pflege nutzbar zu machen. Dies gilt gerade auch für den Bürokratieabbau. Es dürfen dabei aber nicht jene vergessen werden, denen der Umgang mit digitalen Medien nicht vertraut ist. Es muss daher auch zu einer grundlegenden Digitalisierungsstrategie gehören, über Nutzen und Anwendungen digitaler Medien aufzuklären und zu informieren. Der SoVD betont in diesem Zusammenhang den Datenschutz und die Freiwilligkeit der Patient*innen als zentrale Voraussetzung digitaler Datennutzung. Die Perspektive der Nutzer*innen muss stets berücksichtigt werden. Generell gilt: Barrierefreiheit und ein breites Verständnis von Inklusion muss im Gesundheitswesen noch viel stärker gefördert und umgesetzt werden, als es bisher der Fall ist.

Berlin, 11. November 2024

DER VORSTAND
Abteilung Sozialpolitik