1 Zusammenfassung des Gesetzentwurfs
Mit dem Ziel, für alle Hilfesuchenden eine bundesweit einheitliche und gleichwertige Notfallversorgung sicherzustellen, ergreift der Gesetzentwurf Maßnahmen, um die Vernetzung der Versorgungsbereiche, die Steuerung der Hilfesuchenden in die richtige Versorgungsebene sowie die wirtschaftliche Notfallversorgung von Patient*innen zu verbessern, darunter:
- Übernahme der bisherigen Aufgaben der Terminservicestelle im Bereich der Akutfallvermittlung durch sogenannte Akutleitstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und Vernetzung mit den Rettungsleitstellen einschließlich wechselseitiger „digitaler Fallübergabe mit medienbruchfreier Übermittlung bereits erhobener Daten“,
- Ausbau der notdienstlichen Akutversorgung der KVen durch Konkretisierung des Sicherstellungsauftrags durch die Verpflichtung der KVen, durchgängig eine telemedizinische und eine aufsuchende Versorgung bereitzustellen,
- Flächendeckende Etablierung sogenannter Integrierter Notfallzentren (INZ) als sektorenübergreifende Notfallversorgungsstrukturen mit verpflichtender Beteiligung der KVen und ausgewählter Krankenhäuser sowie Anbindung von vertragsärztlichen Leistungserbringern zu Sprechstundenzeiten als „Kooperationspraxen“ an INZ,
- Einrichtung von speziellen Integrierten Notfallzentren für Kinder und Jugendliche (KINZ) bei besonderen Bedarf bzw. Gewährleistung einer telemedizinischen fachärztlichen Unterstützung für Kinderund Jugendmedizin.
2 Gesamtbewertung
Um eine bundesweit einheitliche, qualitativ hochwertige und gleichwertige Notfallversorgung sicherzustellen, ist eine Reform der Notfallversorgung in Deutschland notwendig und längst überfällig. Die Notfallversorgung muss richtigerweise von den Patient*innen als Hilfesuchende aus gedacht und reformiert werden: Sie sind in der Regel als medizinische Laien in einer persönlichen Ausnahmesituation und definieren als solche für sich selbst den „Notfall“. Deshalb sind Zugangsbarrieren zu notfallmedizinischen Strukturen wie etwa Strafgebühren für medizinisch nicht notwendige Besuche der Notaufnahmen von Krankenhäusern grundlegend der falsche Weg. Vielmehr ist es notwendig, dass die Notfallund Akutversorgung rund um die Uhr in der Lage ist, Hilfesuchende unmittelbar zielgerichtet zur richtigen Versorgung zu steuern. Die Hilfesuchenden definieren den Notfall, das System die Reaktion darauf. Notwendig sind deshalb gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der sektorenübergreifenden Steuerung, um die Notaufnahmen und den Rettungsdienst zu entlasten und Patient*innen jederzeit in eine geeignete Versorgungsstruktur zu steuern. Vor diesem Hintergrund begrüßt der SoVD den Referentenentwurf mit seinen gesetzlichen Maßnahmen grundlegend.
Eine sinnvolle Reform der Notfallund Akutversorgung muss aber das Gesamtsystem in den Blick nehmen und darf nicht die notwendige Reform des Rettungsdienstes ausklammern. Mit der neunten Stellungnahme der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung Reform der Notfallund Akutversorgung liegen wichtige Handlungsempfehlungen für eine gezielte Reform der rettungsdienstlichen Strukturen vor, insbesondere die Überführung des Rettungsdienstes als eigenes Leistungssegment in das SGB V, um Klarheit über den Leistungsanspruch der Versicherten, die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern und Fragen der bundeseinheitlichen Qualitätssicherung zu lösen. Dies muss ebenfalls Eingang in diesen Gesetzentwurf finden.
Notwendige sektorenübergreifende Vernetzung der Notfall- und Akutversorgung
Eine bundesweit einheitliche, qualitativ hochwertige und gleichwertige Notfallversorgung muss richtigerweise sektorenübergreifend, interdisziplinär und mit klaren Verantwortlichkeiten organisiert sein. Dies gilt im Besonderen für die im Erstkontakt essenzielle steuernde Zuordnung von Hilfesuchenden zu den – nach wie vor in starren Sektoren getrennten – passenden Behandlungsstrukturen. Es ist daher richtig, das die Notfallund Akutleitstellen künftig im Rahmen einer digitalen Vernetzung in einem sektorenübergreifenden Gesundheitsleitsystem flächendeckend und verbindlich zusammenzuarbeiten. Dieses Gesundheitsleitsystem vermittelt Hilfesuchenden, die sich entweder an die sogenannte Akutleitstelle der KVen, die künftig die bisherigen Aufgaben der Terminservicestelle im Bereich der Akutfallvermittlung übernehmen, oder an die Rettungsleitstellen wenden, die erforderliche medizinische Versorgung. Dabei sind standardisierte Abfragesysteme im Rahmen der Kooperation essenziell und müssen richtigerweise so aufeinander abgestimmt sein, dass eine klare und rechtssichere Überleitung von Hilfesuchenden möglich ist. Dazu ist eine wechselseitige „digitale Fallübergabe mit medienbruchfreier Übermittlung bereits erhobener Daten“ essenziell. Wir begrüßen die Entscheidung zu der im Rahmen der Gesetzgebungskompetenz des Bundes mögliche Verpflichtung der Kassenärztlichen Vereinigungen, mit Rettungsleitstellen zu kooperieren, deren Träger eine solche Kooperation anstreben. Sinnvollerweise sollten die Länder entsprechend eine verpflichtende Kooperation der Rettungsdienste zeitnah anstreben und umsetzen.
Die gesetzliche Festlegung von konkreten Vorgaben zur Erreichbarkeit der Akutleitstellen ist richtig. Es sei aber daran erinnert, dass es sich bei der Selbsteinschätzung des Notfalls in der Regel um medizinische Laien handelt, die zwischen unterschiedlichen Telefonnummern zu wählen haben. Geht ein rettungsdienstlicher Notfall zunächst bei den Akutleitstellen der KV ein, muss schnellstmöglich an den Rettungsdienst weitergeleitet werden. Doch bei einer zulässigen maximalen Wartezeit von bis zu 10 Minuten unter der bundesweit einheitlichen Telefonnummer der KVen drohen wertvolle, gar entscheidende Minuten verloren zu gehen. Die gewählten Maximalfristen für die Erreichbarkeit (spätestens innerhalb von drei Minuten in 75 Prozent der Anrufe und von zehn Minuten in 95 Prozent der Anrufe) unter der bundesweit einheitlichen Telefonnummer sind zu lang und sollten vor diesem Hintergrund kürzer gefasst werden.
Wichtige Konkretisierung des Sicherstellungsauftrags
Die Konkretisierung des Sicherstellungsauftrages der KVen ist wichtig und richtig. Es wird klargestellt, dass die notdienstliche Akutversorgung die vertragsärztliche Versorgung in Fällen, in denen eine sofortige Behandlung aus medizinischen Gründen erforderlich ist, in all den genannten Facetten umfassend durchgängig ist, das heißt 24 Stunden täglich und entsprechend sicherzustellen ist. Richtig ist auch, dass sie weiterhin auf eine medizinisch notwendige Erstversorgung mit akutem ambulanten Behandlungsbedarf der Versicherten begrenzt bleibt. Richtig ist insbesondere die Klarstellung, dass die KVen zweifelsfrei verpflichtet sind, 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche sowohl eine telemedizinische als auch eine aufsuchende notdienstliche Versorgung bereitzustellen. Dies trägt der demografischen Entwicklung und dem Wohl immobiler Patient*innen Rechnung.
Zugleich kann eine stärkere Nutzung der Möglichkeiten der Telemedizin sowie die Einbindung von qualifiziertem nichtärztlichen Personal oder dem Rettungsdienst beim aufsuchenden Bereitschaftsdienst die Ärzt*innen bei der Aufgabenwahrnehmung wirkungsvoll unterstützen. Insbesondere der Leitgedanke, qualifiziertes nichtärtzliches Personal oder den Rettungsdienst in den aufsuchenden Dienst der KVen einzubeziehen, ist sinnvoll. Eine entsprechende ärztliche Kompetenz im Hintergrund und klare Regelungen, wann eine ärztliche Kraft hinzuzuziehen ist, muss dennoch sichergestellt werden.
Es bleibt aber dabei: Der Sicherstellungsauftrag muss von den Ländern im Rahmen ihrer Rechtsaufsicht stärker eingefordert werden, wo die KVen ihren Sicherstellungsauftrag nur ungenügend nachkommen und die Rettungsstellen der Krankenhäuser vor Ort regelmäßig als Ausfallgarant einer schlechten ambulanten Akutversorgungsstruktur fungieren. Nicht selten entsteht die Situation, in der Hilfesuchende mit einem akuten medizinischen Anliegen nach überlanger Wartezeit in der Warteschleife der 116 117 entnervt auflegen und sich wiederum den Rettungsstellen der Krankenhäuser zuwenden. Auch vor diesem Hintergrund begrüßt der SoVD die Klarstellung ausdrücklich.
Integrierte Notfallzentren (INZ/ KINZ) als wichtige sektorenübergreifende Anlaufstellen
Die flächendeckende Etablierung sogenannter Integrierter Notfallzentren (INZ) als sektorenübergreifende Notfallversorgungsstrukturen in (ausgewählten) Krankenhäusern mit verpflichtender Beteiligung der KVen ist zielführend und wird ausdrücklich begrüßt.
Sie bestehen aus der Notaufnahme eines zugelassenen Krankenhauses, einer Notdienstpraxis der KV und einer zentralen Ersteinschätzungsstelle, und stellen so rund um die Uhr eine bedarfsgerechte medizinische Erstversorgung zur Verfügung. Die Zentrale Ersteinschätzungsstelle als wesentlicher Bestandteil der INZ ist unerlässlich, um Patient*innen der richtigen medizinischen Versorgungsstruktur zuzuweisen. Dazu braucht es eine standardisierte, qualifizierte und digitale Ersteinschätzung, die schnellstmöglich zur Verfügung stehen und bundesweit einheitlich eingeführt werden muss. Für eine gesicherte bedarfsgerechte medizinische Erstversorgung sind grundsätzlich Mindestöffnungszeiten richtig. Die ergänzende Anbindung von sogenannten Kooperationspraxen an die INZ gewährleistet auch eine Anlaufstelle in der vertragsärztlichen Versorgung außerhalb der Öffnungszeiten der angebundenen Notdienstpraxis der KV. Damit verbleibt die gesamte ambulante notdienstliche Versorgung zu Zeiten, in denen weder die Notdienstpraxis noch die Kooperationspraxis geöffnet haben, bei den Notaufnahmen der Krankenhäuser.
Obendrein ist es zielführend, an geeigneten Standorten spezielle Integrierte Notfallzentren für Kinder und Jugendliche (KINZ) zu etablieren und für Standorte, wo die Einrichtung von speziellen KINZ nicht möglich ist, eine telemedizinische Unterstützung durch Fachärzt*innen für Kinderund Jugendmedizin zu gewährleisten, um auch für die jungen Patient*innen eine spezifische Erstversorgung flächendeckend sicherzustellen.
Berlin, 27. Juni 2024
Der Vorstand