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Barrierefreiheitsstärkungsgesetz löst nicht alle Probleme

Pressemeldung

Den Bundestag beschäftigte kurz vor dem Ende seiner Legislaturperiode das sperrige Wort „Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)“. Es soll dafür sorgen, dass bestimmte Dienstleistungen und Produkte barrierefrei werden. Menschen mit Behinderungen können Computer, Mobiltelefone, E-Mail-Dienste, Online-Shops oder Fahrkartenautomaten oft nicht nutzen, weil sie nicht barrierefrei sind. Doch das ist eine Grundvoraussetzung für ein unabhängiges Leben. Diese Barrieren müssen endlich fallen.

Der SoVD begrüßt, dass nun doch die umfassende und bekannte Definition von Barrierefreiheit aufgenommen wurde. Das heißt, dass Produkte und Dienstleistungen nur dann als barrierefrei gelten, wenn Menschen mit Behinderungen sie – so wie jeder andere auch – nutzen können. Das ist, so meine ich, ein Schritt in die richtige Richtung. Es ist auch den Sozialverbänden zu verdanken, dass es endlich Konsequenzen haben soll, wenn ein Produkt oder eine Dienstleistung nicht barrierefrei sind. Hier sind die Marktüberwachungsbehörden gefragt, damit es weiter vorangeht.

Aber das nun vom Bundestag verabschiedete Barrierefreiheitsstärkungsgesetz erfüllt bei weitem nicht die Erwartungen des SoVD. Die bauliche Umwelt bleibt komplett außen vor. Was nutzt ein barrierefreier Fahrkartenautomat, der nur über Stufen zu erreichen ist? Treppen, enge Türen, kaputte oder nicht vorhandene Fahrstühle sind bittere Realität. Gerade in der Privatwirtschaft und bei Bestandsbauten gibt es einen enormen Nachholbedarf. Menschen mit Behinderungen stehen immer wieder vor Barrieren, die sie nicht überwinden können. Da muss endlich etwas geschehen. Daher ist die derzeitige Fassung des Gesetzes mutlos und unambitioniert, denn es geht um Alltägliches. Das Gesetz stellt derzeit eine Minimallösung, einen ersten Schritt dar.

Bei vielen Webseiten, Apps, elektronischen Tickets oder interaktiven Selbstbedienungsterminals im öffentlichen Nahverkehr sieht es nicht besser aus. Dennoch werden diese Dienstleistungen ausgeklammert. Wer als Mensch mit Behinderung im Fern- und Regionalverkehr unterwegs ist, gerät in absurde Situationen. Die Teilstrecke im Fernverkehr gibt es am Ticketautomaten barrierefrei, Echtzeit-Reiseinformationen inklusive. Aber sobald man auf den Regionalverkehr umsteigt, gibt es Tickets oder wichtige Mitteilungen zu Störungen, Ausfällen und Verspätungen nicht mehr barrierefrei. Das versteht niemand. Barrierefreiheit geht uns alle an und so werden wir nicht lockerlassen und nach der Neuwahl des Bundestages und der Bundesregierung die Problematik erneut aufgreifen.

Allein die Übergangsfristen ab 2025, die zum Beispiel bei Selbstbedienungsterminals 15 Jahre betragen, sind viel zu lang. Die Bundesregierung verkennt, dass Barrierefreiheit kein lästiges Übel ist. Sie kann auch einen Innovationsschub geben und ein Wettbewerbsvorteil sein. Doch mit derart langen Übergangsfristen kommen wir einer inklusiven Gesellschaft nur im Schneckentempo näher.

Joachim Heinrich
Vorsitzender des Sozialpolitischen Ausschusses